Rashomon

Perspektivwechsel
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[Anzahl der Stimmen: 12 Durchschnitt: 4.5]

Mindfuck-Level: Fortgeschrittener

Kaum ein japanischer Regisseur hat das internationale Kino so sehr geprägt wie Akira Kurosawa. Viele seiner Filme – beispielsweise Die sieben Samurai – wurden von Hollywood aufgegriffen und in Remakes an die westliche Kultur angepasst. Auch Rashomon war in verschiedenen Bereichen sehr einflussreich. Der Film um verschiedene Interpretationen der Geschehnisse rund um einen Mordfall hat sogar die Psychologie dazu angeregt, in derartigen Fällen vom Rashomon-Effekt zu sprechen. Für Anhänger des Mindfuck ist Rashomon auch heute noch eine sehenswerte Parabel über Wahrheit und Lüge.

Ein scheinbar klarer Fall

Während eines Unwetters suchen ein Holzfäller (Takashi Shimura), ein Mönch (Minoru Chiaki) und ein Bauer (Kichijirô Ueda) in den Ruinen eines alten Tempels Schutz. Der Mönch und der Holzfäller rätseln über einen Mordfall, bei dem sie als Zeugen vor Gericht ausgesagt haben. Schließlich erzählen sie dem Bauern die Geschichte.
Der Holzfäller hat im Wald die Leiche eines Mannes gefunden. Zudem habe er um den Fundort verschiedene Gegenstände gefunden, unter anderem einen Frauenhut und einen Kamm. Auf Nachfrage des Gerichts besteht der Holzfäller darauf, keinen Dolch und kein Schwert gesehen zu haben. Der Mönch hat das Mordopfer kurz vor der Tat lebendig gesehen. Es handelte sich um einen Samurai (Masayuki Mori), der mit seiner Frau (Machiko Kyô) unterwegs war.

Der Angeklagte, ein bekannter Räuber namens Tajômaru (Toshirô Mifune), hat seine Aussage als Erster gemacht. Er habe die Frau gesehen und sei sich sicher gewesen, sie besitzen zu müssen. Also habe er den Samurai unter einem Vorwand auf eine Lichtung tief im Wald gelockt und dort überwältigt und gefesselt. Daraufhin habe er die Frau ebenfalls zur Lichtung gelockt und vor den Augen ihres Mannes vergewaltigt. Die Frau habe anschließend darauf bestanden, dass beide Männer bis zum Tod miteinander kämpfen. Nur so könne sie ihre Schande ertragen. Tajômaru habe den Samurai in einem harten Kampf besiegt und währenddessen sei die Frau geflohen. Tajômaru habe das Schwert verkauft, den wertvollen Dolch der Frau habe er auf der Lichtung vergessen.

Wahrheiten und Standpunkte – Das Ende von Rashomon

Die Auflösung von Rashomon

So weit scheint es sich um einen klaren Fall zu handeln, doch die Aussage der Frau steht im klaren Gegensatz zu Tajômarus Version. Nach der Vergewaltigung sei Tajômaru sofort davongerannt. Die Frau habe ihren Mann befreien wollen, doch dessen verächtliche Blicke habe sie nicht ertragen. Sie habe ihn getötet und habe es dann nicht fertiggebracht, auch sich selbst umzubringen.

Die Aussage des Samurais, wiedergegeben durch eine Geisterbeschwörerin, hat noch eine andere Version der Geschichte geliefert. Tajômaru habe versucht die Frau zu überreden, mit ihm zu kommen. Die Frau sei dazu bereit gewesen. Aber sie habe gewollt, dass Tajômaru ihren Mann tötet. Entsetzt habe sich der Dieb gegen sie gewandt und dem Samurai angeboten, sie zu töten. Doch die Frau sei geflohen und der Samurai habe schließlich angesichts der Schande Selbstmord begangen. Im Sterben habe er bemerkt, wie jemand den Dolch aus seiner Brust zieht.

Am Tempel bricht es aus dem Holzfäller heraus: Er wisse genau, dass auch der Geist des Samurai gelogen habe. Der Holzfäller habe selbst alles beobachtet und vor Gericht gelogen, um nicht weiter in den Mordfall hineingezogen zu werden. Tajômaru habe zuerst die Frau überreden wollen, ihn zu heiraten. Die Frau habe ihren Mann befreit und schließlich beide Männer zu einem Duell auf Leben und Tod gebracht. Dies sei von den beiden nur äußerst widerwillig und höchst amateurhaft geführt worden. Am Ende habe Tajômaru den Samurai getötet und die Frau sei geflohen.
Als der Holzfäller seine Erzählung beendet, finden die drei Männer ein ausgesetztes Baby. Der Bauer stiehlt dem Kind die Kleidung und im folgenden Streit gibt der Holzfäller zu, dass er den Dolch der Frau gestohlen hat. Allerdings erklärt er sich nun bereit, das Kind wie sein eigenes großzuziehen.

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„Die Wahrheit ist, was nützt.“ – Der Mindfuck von Rashomon

Betrachtung des Mindfuck von Rashomon

Rashomon erzählt seine Geschichte vor allem in langen Rückblenden. Dabei ist ganz klar, dass die Rückblenden auf den Aussagen der verschiedenen Personen basieren. Dies ist in vielen anderen Filmen ebenfalls der Fall, doch das Publikum ist daran gewöhnt, dass Rückblenden auch dann die Wahrheit zeigen, wenn sie auf der Aussage einer Person basieren. Genau mit dieser Konvention bricht Rashomon und liefert dadurch eine Reflektion über Wahrheit und Lüge. Am Ende kommt der Holzfäller zu dem Schluss „Die Wahrheit isr, was nützt.“ und genau diesem Prinzip folgen alle Figuren. Sie lügen, um sich selbst in ein gutes Licht zu rücken. Im Gegensatz zu vielen anderen Filmen mit unwahren Rückblenden stehen die verschiedenen Versionen in Rashomon gleichberechtigt nebeneinander. Nur die ursprüngliche Aussage des Holzfällers war definitiv gelogen, da er sie später durch eine andere Version ersetzt. Seine endgültige Schilderung der Ereignisse mag als zuletzt offenbarte Variante etwas glaubwürdiger sein als die anderen Erzählungen. Doch letztendlich bleibt unklar, was genau auf der Lichtung passiert ist, und genau daraus resultiert der Mindfuck von Rashomon.

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Fazit

Rashomon ist inzwischen über sechzig Jahre alt und wurde noch komplett in Schwarz-Weiß gedreht. Trotzdem hat die Geschichte über Wahrheit und Lüge kaum etwas an Relevanz eingebüßt. Zwar schreitet die Handlung wie in vielen älteren Filmen etwas langsam voran, doch letztendlich entwickeln sich die Dinge schnell genug, dass auch der heutige Zuschauer nicht in Langeweile verfällt. Der Mindfuck von Rashomon ist heute noch berühmt und stand später Pate für verschiedene Filme, die ihre Handlung aus verschiedenen Perspektiven erzählen. An die Klasse von Rashomon kamen sie nicht heran.

Weiterführende Links

Rashomon bei www.imdb.com
Rashomon bei www.rottentomatoes.com

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Bernd Leiendecker
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