Mindfuck-Level: Fortgeschrittener
Noch lange bevor Cyberspace und virtuelle Realitäten in aller Munde waren, schrieb Daniel F. Galouye den Science-Fiction-Roman Simulacron-3. In den 70er-Jahren nahm sich der deutsche Filmemacher Rainer Werner Fassbinder des Stoffes an und verfilmte ihn als TV-Zweiteiler unter dem Titel Welt am Draht. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen war für einen deutschen Science-Fiction-Film mit Mindfuck-Elementen offensichtlich noch nicht bereit und so verstaubte Welt am Draht nach seiner Erstausstrahlung lange Zeit im Archiv. Damit taten sie Fassbinder Film jedoch Unrecht.
Die kopierte Wirklichkeit
Das IKZ-Forschungsinstitut arbeitet an dem Computersystem Simulacron, welches eine perfekte virtuelle Realität mit 9.000 repräsentativen Bewohnern simuliert. Das System kann so Prognosen abgeben, wie sich die Gesellschaft in den nächsten Jahrzehnten entwickeln wird. Als der Leiter des Simulacron-Projekts, Professor Vollmer, bei einem augenscheinlichen Unfall verstirbt, tritt sein Stellvertreter Fred Stiller (Klaus Löwitsch) die Nachfolge an. Der IKZ-Sicherheitschef Lause warnt Stiller, dass mit Vollmers Tod etwas nicht stimmt, verschwindet aber von einem Moment auf den anderen spurlos. Stiller möchte Lauses Verschwinden aufklären, doch am IKZ scheint Lause plötzlich nicht mehr bekannt zu sein. Auch die Polizei erinnert sich nicht mehr, dass Stiller Lauses Verschwinden angezeigt hat. Während Stiller immer mehr unerklärliche Dinge passieren, die seine Nachforschungen über Lause und Vollmer behindern, muss er sich auch noch mit IKZ-Chef Siskins (Karl Heinz Vosgerau) auseinandersetzen. Siskins möchte Simulacron zugunsten seiner Freunde aus der Wirtschaft einsetzen und ihnen so einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Als Stiller sich selbst in Simulacron einloggt, um mit der Kontakteinheit Einstein (Gottfried John) zu sprechen, sieht er dort Lause. Anscheinend hat Vollmer einen Doppelgänger Lauses in Simulacron einprogrammiert.
Die wirkliche Kopie – Das Ende von Welt am Draht
Ein weiterer Zwischenfall wirft Stiller jedoch aus der Bahn.
Einstein gelingt es, aus der Simulation zu entkommen und den Körper von Stillers Mitarbeiter Fritz zu übernehmen. Er eröffnet dem geschockten Stiller, dass die Welt um ihn herum ebenfalls eine Simulation ist, die genau so wie Simulacron funktioniert. Zwar gelingt es, Einstein zu überwältigen und zurück in seine Welt zu schicken, doch Stiller beginnt daran zu zweifeln, dass er selbst sich in der Realität aufhält. Er macht sich auf die Suche nach der Kontakteinheit seiner Welt, um so den Beweis ihrer Künstlichkeit zu erbringen.
Währenddessen deckt eine Zeitung die Machenschaften von Siskins auf und dieser hängt alles dem immer unberechenbarer werdenden Stiller an. Von der Polizei gejagt kann Stiller schließlich Vollmers vermeintliche Tochter Eva als Bewohnerin der tatsächlichen Realität entlarven und damit beweisen, dass er selbst in einer Simulation lebt. Eva eröffnet Stiller, dass es in ihrer Welt auch einen Fred Stiller gibt, der die Simulation leitet. Dieser sei jedoch durch und durch größenwahnsinnig. Von Zeit zu Zeit dringt er in den Körper des virtuellen Stiller ein. Eva war in den realen Stiller verliebt und liebt nun dessen virtuelle Version. Als der virtuelle Fred Stiller schließlich von der Polizei erschossen wird, gelingt es Eva, sein Bewusstsein in den Körper des realen Stiller zu transferieren. Dadurch schafft der virtuelle Stiller den Sprung in die Realität.
Der Mindfuck von Welt am Draht
Welt am Draht beschäftigt sich mit einer zentralen philosophischen Frage: Woher wissen wir, dass das, was wir als Wirklichkeit erleben, auch tatsächlich wirklich ist? Dabei legt der Film seinen Fokus auf scheinbar perfekte virtuelle Realitäten und das zu einer Zeit, wo ihre technische Realisierbarkeit noch unendlich weit entfernt schien. Um die Jahrtausendwende, als eine derartige virtuelle Realität deutlich greifbarer war, nahmen viele Filme diese Thematik wieder auf – beispielsweise Matrix, The Thirteenth Floor oder eXistenZ. Die virtuelle Realität von Welt am Draht wird aufgedeckt, weil sie eben doch nicht perfekt ist. Unerklärliche Phänomene zeigen Stiller und auch dem Zuschauer immer wieder, dass etwas nicht stimmt. Eine interessante Frage spart der Film jedoch aus: Wenn Stiller sein Leben lang eine virtuelle Realität für die Wirklichkeit hielt, woher weiß er dann, dass er am Ende in der Realität angekommen ist und sich nicht weiterhin in einer Simulation befindet? Hier geht eXistenZ zum Beispiel wesentlich weiter als Welt am Draht.
Fazit
Nach heutigen Maßstäben ist Welt am Draht recht textlastig und erzählt in ziemlich behäbigem Tempo. Zudem ist Stiller mit seiner schroffen Art eine Figur, mit der man sich nur schwer identifizieren kann und die gesamte Welt einschließlich vieler Dialoge wirkt kalt und künstlich – womöglich mit Absicht. Trotz dieser Einschränkungen ist Welt am Draht ein visionärer Film und alleine für seine Zukunftsvision durch die Augen der 70er-Jahre sehenswert. Wer es allerdings lieber bunt und schnell mag, könnte mit Fassbinders Zweiteiler so seine Schwierigkeiten bekommen.
Weiterführende Links
Welt am Draht bei www.imdb.com
Welt am Draht bei www.rottentomatoes.com
Filme wie Welt am Draht
Brainscan (USA 1994, John Flynn)
eXistenZ (Kanada/Großbritannien 1999, David Cronenberg)
Matrix (USA/Australien 1999, The Wachowski Brothers)
Mindwarp (USA 1992, Steve Barnett)
Öffne die Augen (Spanien/Frankreich/Italien 1997, Alejandro Amenábar)
The Thirteenth Floor (Deutschland/USA 1999, Josef Rusnak)
Vanilla Sky (USA/Spanien 2001, Cameron Crowe)
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Bildnachweis: Alle Bilder mit freundlicher Genehmigung von Studiocanal Home Entertainment
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Der Mindfuck-Level ist beim Film Welt am Draht tatsächlich extrem stark ausgeprägt.